VW ID Buzz AD: Ohne Fahrer durch die Großstadt – Golem

Moia VW ID Buzz AD in Hamburg
Golem

Mit Level-4-Autonomie in seinem neuen Shuttle-Fahrzeug will die VW-Tochter Moia trotz Fahrermangel wachsen und einen Systemvertrieb aufbauen. Wir haben eine Tour gemacht.

Die Helgoländer Allee in Hamburg führt leicht abschüssig von der Reeperbahn hinab zu den Landungsbrücken an der Elbe. Links und rechts parken Reisebusse am Fahrbahnrand. Ausweichen ist unmöglich. Wir sitzen in einem VW ID Buzz AD von Moia, dem ein Lkw entgegenkommt, der viel zu weit auf unserer Spur unterwegs ist. 

Das Moia-Fahrzeug fährt so weit wie möglich rechts an die Busse heran und bleibt stehen. So hätte vermutlich jeder Fahrer die brenzlige Situation gemeistert. Nur das der VW ID Buzz AD keinen menschlichen Fahrer hat. AD steht für Autonomous Drive. Der elektrische VW-Bus wird von einem Computer gesteuert. Die Person auf dem Fahrersitz ist aus Sicherheitsgründen dabei und greift nur in Notfällen ein. Das hier war kein Notfall, sondern Routine im Großstadtverkehr. 

Moia VW ID Buzz AD vier Sitzplätze

Auch für Menschen herausfordernd

Bereits zuvor ist das Fahrzeug souverän einem parkenden Lkw auf einer zweispurigen Fahrbahn ausgewichen, ohne anhalten zu müssen. Die Testfahrt geht vom Karo-Viertel an der Messe vorbei an den Wallanlagen zum Millerntorplatz. Hier gabelt sich die B4 auf sechs Spuren in unterschiedliche Richtungen. Für ortsfremde Autofahrer ist die Stelle eine Herausforderung. Der ID Buzz AD meistert die komplexe Strecke souverän und fädelt sich problemlos in den Verkehrsstrom in Richtung Elbufer ein.

Moia VW ID Buzz AD Gepäckfach

Sprechverbindung zur Zentrale

Im Regelbetrieb wird der Fahrersitz leer sein, das Lenkrad mit einem Stoffbezug abgedeckt. Moias Pressesprecher hat bei der Proberunde auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Dort wird später ein Gepäckfach sein. In den Kofferraum passt auch noch ein großer Koffer. Der ID Buzz AD verfügt über vier Sitze für zahlende Gäste. Bislang sind es in den von Moia genutzten VW-Craftern sechs Plätze. Beim so genannten Ridepooling teilen sich mehrere Gäste ein Fahrzeug auf ihrem Weg zum Ziel. 

Aktuell grüßt der Moia-Fahrer und fragt, ob man Peter oder Tina sei? Beim autonomen Bus hält man sein Smartphone zur Authentifikation an einen Chipleser neben der Schiebetür. Hat man für diese Fahrt gebucht, öffnet die Tür. Hat man für einen Freund oder sein Kind gebucht, gibt er oder sie einen Code auf einem Zahlenfeld in der Scheibe ein.

Sobald der Fahrgast sitzt und angeschnallt ist, prüft die Innenraumüberwachung die Fahrbereitschaft. „Darum sind die Sicherheitsgurte gelb, das erleichtert dem Kamerasystem die Erkennung, ob der Gurt korrekt sitzt“, erläutert der Moia-Pressesprecher. Neben einem USB-Anschluss zum Aufladen mobiler Geräte, hat jede Sitzreihe einen Rufknopf für eine Sprechverbindung mit der Moia-Zentrale sowie einen roten Notfall-Knopf für einen Nothalt. 

Moia VW ID Buzz AD Knöpfe und USB-Anschluss

27 digitale Augen

Der ID Buzz AD ist 25 cm länger als die Serienversion und auch etwas höher. Das Mehr an Platz kommt weniger den Fahrgästen als den 27 Sensoren zugute. Im ID Buzz AD erzeugen 13 Kameras, neun Lidar- und fünf Radar-Sensoren ein digitales Abbild der Umwelt. Dabei ergänzen sich die Systeme mit ihren jeweiligen Stärken. Kameras sind der günstigste Baustein im Sensor-Set. Sie erfassen bei Tageslicht das Umfeld sehr zuverlässig und sind auch gut bei der Objekterkennung. Doch starkes Gegenlicht oder Blendungen durch die Sonne, machen ihnen zu schaffen. Das ist beim Laserlicht eines Lidars anders. Der erkennt zudem bei Dunkelheit Objekte und ist gut darin, Entfernungen von Objekten zu messen. Das Laserlicht findet seinen Weg auch um den Vorausfahrenden herum und erkennt so in vielen Fällen frühzeitig Hindernisse und Gefahren. Die Reflektionen elektromagnetischer Wellen der Radare werden auch bei Sichtbehinderungen wie Dunkelheit, Regen, Nebel oder Abgaswolken Vorausfahrender fehlerfrei ausgewertet. Für einwandfreie Sicht reinigen sich die Sensoren bei Bedarf mit einer Kombination aus Druckluft und Wasser selbstständig.

Moia VW ID Buzz AD Sensor

Viel Geld verloren

Den Weg zu autonom fahrenden Autos beschreitet Volkswagen seit 2020 gemeinsam mit Ford. Beide beteiligten sich an dem Start-up Argo AI aus Pittsburgh. Doch die Entwicklung dauerte beiden Autoherstellern zu lange. Im Herbst 2022 trennten sich die Geldgeber von ihrer Beteiligung. Volkswagen schrieb 1,9 Milliarden Euro und Ford 2,7 Milliarden Dollar ab. 

Wechsel zu Mobileye

Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) wechselte zum israelischen Intel-Tochterunternehmen Mobileye als Technikpartner. Die hatten zu Jahresbeginn 2022 den Chip EyeQ Ultra vorgestellt, der auf den Einsatz in autonomen Fahrzeugen ausgelegt ist. Er bietet die passende Balance aus Energiekonsum und Rechenleistung. Im Herbst 2023 bot VWN im Rahmen der IAA Mobility eine erste Mitfahrt im öffentlichen Straßenverkehr an. Bereits dort macht das Testfahrzeug auf den Straßen der Gemeinde Freising einen guten Eindruck. Im Kofferraum arbeitete ein wassergekühlter Computer mit 180 Tops, also bis zu 180 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde. 

VW ID Buzz AD mit Mobileye Technologie an Bord

2030: 10.000 autonome Shuttle

Doch bis zahlende Fahrgäste im ID Buzz AD Platz nehmen, dauert es noch. Anfang Juli startet Moia mit geschlossenen Nutzergruppen. Erst Ende 2026 / Anfang 2027 gehen die autonomen Fahrzeuge in den Serienbetrieb. Die VW-Tochter Moia bleibt mit dem autonomen Angebot in der Hansestadt nicht allein. Im Projekt ALIKE ist noch Holon, ein Tochterunternehmen des Autozulieferers Benteler, vertreten. Bis 2030 könnten bis zu 10.000 autonome Shuttle der Projektpartner in Hamburg unterwegs sein. Neben der Stadt fördert auch das Bundesverkehrsministerium dieses ehrgeizige Vorhaben. 

Moia VW ID Buzz AD Manager
Vlnr: Oliver Blume, CEO der Volkswagen Gruppe, Anjes Tjarks, Hamburger Verkehrssenator, Moia-CEO Sascha Meyer und Christian Senger, CEO Volkswagen Autonomous Mobility 

Chance für ländliche Regionen

Bislang waren bei der Expansion sowie der wirtschaftlichen Betrachtung die Fahrer stets ein Knackpunkt. Aufgrund von Urlaubs- und Krankheitstagen braucht man mehr Fahrer als eingesetzte Fahrzeuge. Zudem ist es mit einer Schicht am Tag nicht getan. Moia ging im Sommer 2018 in Hannover mit Verbrenner-Bussen an den Start. Im April kam der Ridepooling-Dienst mit Elektro-Bussen nach Hamburg. Mit Ausbruch der Corona-Pandemie fehlte plötzlich die Nachfrage. Moia wurde Teil des öffentlichen Nahverkehrs, denn wenn nur wenige ein gemeinsames Ziel haben, lohnt sich der große Linienbus nicht. Autonome Fahrzeuge tragen dazu bei, Herausforderungen wie Fahrermangel oder eine geringe Nachfrage in ländlichen Raum zu bewältigen. „Mit dem autonomen Ökosystem und dem ID Buzz AD schaffen wir ein Mobilitätsangebot, mit dem Betreiber autonomer Flotten sowohl Städte, Vororte als auch ländliche Räume gleichermaßen erreichen können“, sagt Sascha Meyer, CEO von Moia.

Moia VW ID Buzz AD

Billionen Dollar Markt

Volkswagen nutzt den in Hamburg stattfindenden UITP Global Public Transport Summit als Rahmen für die Fahrzeugpräsentation. Es ist ein internationaler Kongress für öffentlichen Nahverkehr (UITP – Union Internationale des Transports Publics). Die Teilnehmer sind potenzielle Abnehmer für schlüsselfertige Transportlösungen. „Wir sind die ersten in Europa und bieten alles aus einer Hand. Da rechnen wir uns gute Chance auf einem lukrativen Markt aus“, sagt Oliver Blume, CEO der Volkswagen Gruppe, im Gespräch mit GOLEM. Der Konzern schätzt, der Markt für autonomen Personentransport wächst in den USA und Europa auf rund 300 Billionen US-Dollar Umsatz bis zum Jahr 2035.

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