
Mit der Neuen Klasse startet BMW eine neue Modellgeneration an Elektroautos. Vom Bedien- bis zum Konstruktionsprinzip ist alles neu. Vier Super-Computer steuern Funktionen im Auto. Softwareentwicklung und Transformation der Freude am Fahren liegen im Aufgabenbereich von BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber. Er meint, die Neue Klasse ist nicht einfach nur ein Computer auf Rädern.
AI: Neue Klasse ist für BMW ein historisch besetzter Begriff. Wird es wieder ein kompletter Neubeginn für das Unternehmen?
Weber: Wir befinden uns heute in einer deutlich besseren Ausgangslage. Damals ging es um unser Überleben. Heute kommen wir aus einer erfolgreicheren Zeit, was vielleicht eine andere Form von Risiko darstellt. Da mussten wir genau überlegen, wieviel Erneuerung ist richtig und wichtig. Wir möchten, dass es sich für Kunden so anfühlt, als hätten wir eine Autogeneration übersprungen und nicht einfach mit dem weiter gemacht, was wir die Generationen davor getan haben. Die Geschwindigkeit der Veränderungen in unserer Industrie hat sich rapide erhöht. Die Entwicklung der Neuen Klasse ist unser Weg, um weiterhin so erfolgreich zu bleiben.
AI: In der Neuen Klasse setzen Sie auf ein anderes Bedienkonzept. Ist das auch Ausdruck einer Verschiebung? Es geht nun weniger um das Erlebnis der Fortbewegung im Auto als um die Visualisierung von digitalen Inhalten.
Weber: Das Digitale dient natürlich dem Erlebnis, genau wie die Freude am Fahren ein Erlebnis an sich ist. Wir haben in der Entwicklung mit Freude festgestellt, dass digitale Inhalte, die in der Windschutzscheibe erscheinen, den Fahrer ganz anders mit dem Auto verbinden. Uns hat das gefallen, weil es genau das ist, was BMW will. Ich will nicht das eine oder das andere. Ich möchte, das Digitales beim Fahrerlebnis Freude macht. Ein BMW ist schließlich auch kein komplett anderes Auto im Vergleich zu den Produkten anderer Hersteller. Und dennoch spüren unsere Kunden den Unterschied, sagen, unsere Lenkung ist etwas präziser; der Sitz ist etwas angenehmer; das Gefühl, mit dem Auto verbunden zu sein, ist intensiver. Wenn das auch im Digitalen passiert, dass du eine andere Beziehung zu diesen Inhalten aufbaust, haben wir unser Ziel erreicht.

AI: Der Vergleich, das Auto sei ein Computer auf Rädern hinkt bereits, denn mit den vier Super-Computern ist es eher ein Rechenzentrum. Warum mögen Sie den Vergleich nicht?
Weber: Ein Computer auf Rädern ist eben nicht unsere Vorstellung von einem Auto. Wir gehen von einer hochgradig emotionalen Beziehung zum Auto aus und das soll beim SDV so bleiben. Das Auto ist ja keine Küchenmaschine. Vom Öffnen der Tür, Platz nehmen, losfahren und lenken – die Interaktion ist etwas ganz anderes als der Umgang mit einem Computer auf dem Schreibtisch. Vor allem: Wie reagiert das Auto in Notsituationen? Was passiert, wenn die Straße nass ist und das Fahrzeug beginnt zu rutschen? Wie schnell haben Sie als Fahrer wieder die Kontrolle? Hier muss man es schaffen, eine vertrauensvolle Beziehung mit dem Fahrer aufzubauen. Das wird sich nicht ändern, nur weil mehr Recheneinheiten verbaut sind.

AI: Bei anderen Herstellern läuft die Softwareentwicklung nicht so ruhig wie bei Ihnen. Was machen Sie besser?
Weber: Das ist auch bei uns nicht trivial und durchaus ein anstrengender Kraftakt. Aber wir hatten unser traumatisches Erlebnis, aus dem wir viel gelernt haben. Der E65, die vierte Generation der 7er-Reihe, kam 2001 mit dem ersten iDrive-System auf den Markt. Die Menüstruktur auf dem Bildschirm hat man per Drücken und Drehen gesteuert. Das war ein komplett neues Bedienkonzept. Das Auto hatte erstmals ein Bus-System für die Datenübertragung. Wir sind damit sehr ambitioniert gestartet und mussten auch viel Kritik einstecken. Ja, wir hatten Fehler gemacht. Wir hatten das komplexe Zusammenspiel von Steuergeräten und Software unterschätzt. Daraus haben wir gelernt: Wenn es kompliziert wird, darfst du die Arbeiten nicht auslagern, sondern musst sie in die Mitte der Organisation holen. Genau das haben wir getan. Seitdem sind über 20 Jahre vergangen, und wir arbeiten heute immer noch so. In der Abteilung für Fahrdynamik etwa arbeiten genauso viele Software-Entwickler wie im Bereich für Bordnetze oder Infotainment. Um Software zu verstehen, musst du die Entwicklung in jede Abteilung integrieren.
AI: Wenn Sie heute ein neues E-Auto konstruieren, worauf achten Sie am meisten?
Weber: Für mich steht Effizienz ganz klar an erster Stelle. Jede Wattstunde zählt. Es gibt nichts Schlimmeres als die Batterie immer größer zu machen, um danach den Energiegewinn durch Ineffizienzen zu verspielen. Als es darum ging, Autos leichter zu machen, haben wir jeder Gewichtsreduktion einen Euro-Wert beigemessen, also Euro pro Gramm. Das machen wir jetzt in Form von Euro pro eingesparter Wattstunde. Wir machen Efficient Dynamics ja schon eine ganze Weile, aber das ist jetzt Efficient Dynamcis zum Quadrat. Das beginnt bei der Aerodynamik. Die wirkt viel früher, als viele denken: sobald Sie die Stadtgrenze hinter sich lassen, etwa bei 70 km/h. Es ist auch erstaunlich, welchen Unterschied Reifen mit einem geringeren Rollwiderstand machen. Dann natürlich die E-Maschine mit den Wechselrichtern. Wie effizient ist die Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom? Was verbraucht die Leistungselektronik? Die Fahrassistenten machen hier einen nicht unerheblichen Anteil aus. Wir gehen das Auto einmal von oben nach unten durch. Mit der Neuen Klasse erreichen wir so 30 Prozent mehr Reichweite und bis zu 25 Prozent mehr Effizienz in der Energienutzung.
Bildschirm oder Projektion?
Berührungsempfindlicher Bildschirm oder lieber eine Projektion? Die Hersteller verfolgen unterschiedliche Konzepte, um digitale Inhalte im Auto darzustellen. BMW entscheidet sich in der neuen Klasse vor allem für Projektionen.
„Es gab in der Autoindustrie einen Größenwettbewerb bei den Displays. Wer das größte einbaut, ist der beste“, sagt Weber. Doch mit der Größe wurde auch die Erreichbarkeit der Inhalte vom Fahrer- oder Beifahrersitz aus immer schwieriger. Entscheidet man sich für eine Hochkant-Format, sind in der Regel alle Menüpunkte von beiden Sitzpositionen aus erreichbar, ohne sich vorbeugen zu müssen. Doch für die Anzeige einer Straßenkarte sowie der Wiedergabe von Videos sind Bildschirme im Querformat vorteilhaft.
„Mit einem übergroßen Bildschirm steht wortwörtlich etwas zwischen Fahrer und Straße. Das kann 2025 nicht die Antwort sein und fühlte sich für uns nicht richtig an“, beschreibt Frank Weber, BMW-Entwicklungsvorstand im Gespräch mit der Automobil Industrie die Entwicklungsphase der neuen Klasse. In den kommenden BMW-Fahrzeugen werden Projektionen in der Frontscheibe eine große Rolle spielen.

Darum entschied sich Byton für eine Steuerung per Gesten und Sprache. Das chinesische Start-up wollte 2019 mit dem M-Byte ein E-Auto auf den Markt bringen, bei dem der Bildschirm mit 125 mal 25 cm über das gesamte Armaturenbrett reicht. Mit dem Konzept sorgte Byton für Aufsehen, musste jedoch während der Corona-Pandemie wegen ausbleibender Zahlungen seiner Investoren aufgeben. Doch ein Trend war geboren: Mercedes-Benz bringt es bei seinem MBUX-Hyperscreen auf eine Breite von 141 cm. Optisch wirkt es wie eine Bildschirmfläche, doch tatsächlich werden hierbei drei OLED-Bildschirme verbaut. Nio setzt in seinem neuen Flaggschiff ET9 auf einen schmaleren Bildschirmstreifen im Armaturenbrett, der über die gesamte Breite (Pilar to Pilar) reicht. Der Hersteller nennt es Skyline Display. Der leicht gebogene OLED-Bildschirm liefert eine 5K-Auflösung, deren Inhalte man auch bei hellem Sonnenlicht gut erkennt. Dafür sorgt ein Kontrastverhältnis von zwei Millionen zu eins. Der Fahrer bekommt in seinem Bereich Fahrinformationen angezeigt, während der Beifahrer die Inhalte auswählen kann. Im Auto-Modus richten sie sich nach Tageszeit und Ort des Fahrzeugs.
Informationen rücken nach oben
Ganz ohne Bildschirm wird auch die neue Klasse von BMW nicht auskommen. Die Konzeptautos verfügen über einen berührungsempfindlichen Bildschirm (17,9 Zoll), der näher ans Lenkrad rückt. Die Seiten sind 72,5 Grad zum Fahrer geneigt, es wirkt optisch wie ein Parallelogramm. Doch die wesentlichen Informationen für Fahrer und Beifahrer liefert eine Projektion. Damit verschieben sich sämtliche Anzeigen im Auto nach oben und somit stärker ins Blickfeld des Fahrers.
Die Idee einer Projektion auf die Frontscheibe wurde bereits vor über zehn Jahren von Ingenieuren im BMW Technology Office im Silicon Valley entworfen. Doch war man mit der damaligen Projektionstechnik nicht zufrieden. „Wir haben uns das nun in Prototypen angeschaut und waren positiv überrascht“, sagt Weber. Die Objekte in der Scheibe erhalten einen 3D-Effekt und sind nicht mehr nur vom Fahrersitz sichtbar. Die Projektionen des Head-up-Displays sehen alle Insassen. Über Navigationsangaben hinaus, bieten sich damit weitere Anwendungsfälle an. Beispielsweise könnte während einer Ladepause der Liedtext für einen Karaoke-Wettbewerb im Auto auf der Frontscheibe erscheinen.
Individualisierte Anzeigen
Zum so genannten Panoramic Vision von BMW gehört auch eine Projektionsfläche im unteren Bereich der Frontscheibe. Diese Fläche ist schwarz hinterlegt, so dass Inhalte bei allen Lichtverhältnissen gut zu sehen sind. Dafür wird die gesamte Breite von linker bis rechter A-Säule genutzt. Insgesamt stehen neun Flächen für Informationen zur Verfügung. Drei Elemente hinter dem Lenkrad informieren den Fahrer über seine aktuelle Geschwindigkeit, erlaubtes Tempo, Restreichweite, Zeit bis zum Ziel sowie aktivierte Assistenten. Die übrigen sechs Bereich werden frei belegt. Dazu wählt man aus den Rubriken MyLife, MyCar und MyJourney aus. Das können Musiktitel, Wettervorhersage, Himmelsrichtung oder die Visualisierung des Sprachassistenten sein. Dann erscheint ein runder Kopf mit großen Augen auf der Projektionsfläche. Die ausgewählten Inhalte werden vom zentralen Bildschirm mit dem Finger nach oben an die gewünschte Position gezogen.

Eigenes Hintergrundbild
Die Personalisierung geht auf dem zentralen Bildschirm weiter. Nutzer können die Farbgestaltung als auch ein persönliches Hintergrundbild auswählen. Damit entscheidet sich BMW für ein zweigeteiltes Bedienkonzept. Berührung: Auf dem Bildschirm als auch auf dem Lenkrad werden Schaltflächen gedrückt. Beim Lenkrad liegen links Fahrassistenzfunktionen und rechts Telefon sowie Medienwiedergabe. Die zweite Option ist Sprache. Erstmals wird der Sprachassistent auf der Panoramic Vision Fläche visualisiert. Die Rückmeldung über die erfolgte Umsetzung der Sprachbefehle sehen die Insassen im Panoramic Vision, dem Head-up-Display oder auf dem Bildschirm.
Abschied vom bisherigen iDrive-Konzept
Einen haptischen Drehknopf für die Lautstärke kann man noch erwarten, aber vom langjährigen iDrive-Konzept mit Drehen und Drücken verabschiedet sich BMW. „Im Zeitalter von Apps ist selbst die Auswahl von Navigationszielen oder Musiktiteln mit einem Drehknopf nicht mehr zeitgemäß. Das fühlt sich einfach nicht mehr gut an“, sagt Weber. Die Projektionen sowie Steuerung über Stimme und Berührung bildet für die BMW-Stammkundschaft einen Bruch. „Wir haben das vorab mit über 3.000 Probanden rund um die Welt getestet“, sagt Stephan Durach, Senior Vice President UI/UX und Connected Company Development bei BMW. Angst vor einer Ablehnung des neuen Bedienkonzepts fürchtet man bei dem Hersteller nicht.
Die Personalisierung bietet noch einen weiteren Vorteil: universelle Nutzung. Die Auswahl der sechs Elemente im Panoramic Vision-Bereich als auch das Hintergrundfoto auf dem Bildschirm kann der Nutzer über die BMW-App speichern. „Wer einen BMW als Mietwagen hat, kann darin seine gewohnte Konfiguration übernehmen“, sagt Durach. Erweiterungen bietet auch ein App Store. Hier hat sich BMW für das Angebot Appning by Forvia entschieden. Auch die Nutzung von Android Auto und Apple CarPlay sind im neuen Bedienkonzept vorgesehen.
Projektionen kommen
BMW wird nicht lange der einzige Hersteller bleiben, der die Frontscheibe für Projektionen nutzt. Hyundai Mobis präsentierte auf der diesjährigen CES in Las Vegas eine holografische Projektion. Dazu wird eine von Zeiss entwickelte 100 Mikrometer dünne Folie auf die Scheibe aufgebracht. Sie erzeugt eine räumliche Wirkung beim Betrachter. Das Exponat auf der Messe zeigte ebenfalls eine Nutzung des unteren Bereichs der Frontscheibe. Auf der gesamten Breite werden Informationen für den Fahrer sowie die Auswahl von Medien und anderer digitaler Inhalte projiziert.
Werbung nicht erwünscht
Auch Continental präsentierte bei der CES eine Projektionslösung. Allerdings hat sich der Zulieferer dafür die hinteren Seitenscheiben ausgesucht. Hier präsentiert der Zahnarzt seine Praxis oder zeigt der Sport-Fan seine Liebe zum Verein. Für die Projektion wird die Scheibe elektronisch abgedunkelt. Der Projektor ist im Dachhimmel verbaut. Dabei benötigt das Bauteil nur einen halben Liter Bauraum. Statt einer Fahrzeugbeklebung bietet eine Projektion die Option wechselnder Inhalte. Allerdings sehen deutsche Gerichte den Trend kritisch. Das Hamburger Verwaltungsgericht untersagte Anfang des Jahres dem zum Stellantis-Konzern gehörenden Carsharing-Unternehmen Share Now eine Werbeprojektion. Es hatte Fahrzeuge mit einem Projektor ausgestattet, der Anzeigen auf die rechte hintere Scheibe projizierte. Die Werbebotschaft war nur zu sehen, wenn das Fahrzeug parkte. Dennoch sah das Gericht die visuelle Ablenkung für Radfahrer und Fußgänger als Gefährdung der Verkehrssicherheit. Fahrzeuge dürften nur über die in der Zulassungsordnung vorgeschriebenen und für zulässig erklärten lichttechnischen Einrichtungen verfügen.
Differenzierung nach Fahrzeugkategorien
Das Konzept der Projektion hält mit der neuen Klasse bei BMW in sämtliche Marken und Fahrzeugkategorien Einzug. „Dabei wird es natürlich eine Differenzierung in der Ausführung der Fahrzeugklassen geben“, sagt Durach. Das Armaturenbrett im 1er wird anders aussehen als in einem 7er. Auch Rolls Royce und Mini übernehmen die Softwarebasis des Bedienkonzepts. Wobei das jeweilige Bedienkonzept der Marke angepasst wird, so werden die Minis weiterhin einen großen, runden Bildschirm haben.
Lesen in der Ausgabe 1/2025 der Automobil Industrie (€).