Rückgang von THG-Prämien: Betrügereien auf Kosten von E-Auto-Besitzern – c´t

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Wer abgasfrei mit dem E-Auto fährt, profitiert von CO2-Ausgleichszahlungen der Mineralölkonzerne. Die Höhe der jährlich ausgeschütteten THG-Prämie fällt jedoch.

Die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) soll klimaschädliche Emissionen im Verkehrssektor reduzieren. Sie verpflichtet die Mineralölwirtschaft, den Anteil CO2-verursachender Kraftstoffe nach einer festgelegten Staffelung Jahr für Jahr zu reduzieren oder an anderer Stelle für einen Ausgleich zu sorgen.

Hier kommen die Besitzer von E-Autos ins Spiel: Über eine komplizierte Formel legt der Gesetzgeber pauschal eine CO2-Ersparnis fest, die über ein elektrifiziertes Fahrzeug in einem Jahr erzielt wird. Dienstleister bündeln die CO2-Entlastung vieler Kunden zu Quotenzertifikaten. Die Anbieter verkaufen die Zertifikate an die Ölkonzerne und schütten den Erlös an die registrierten E-Auto-Besitzer in Form der jährlichen THG-Prämie aus.C’T KOMPAKT

  • Die jährliche THG-Prämie für E-Auto-Besitzer ist stark gesunken.
  • Experten sehen Betrügereien mit CO2-Zertifikaten als Ursache.
  • Bei Insolvenz eines Zwischenhändlers verfällt die Prämie für den Kunden.

E-Auto-Halter konnten sich 2022 noch über eine Überweisung in Höhe von 300 bis 400 Euro freuen, je nachdem, wie hoch der Verwaltungskostenanteil ihres Anbieters lag. Aktuell bekommt man nicht einmal mehr 100 Euro pro Jahr ausbezahlt. Die Entwicklung widerspricht jeder betriebswirtschaftlichen Erwartung. Schließlich steigt der Prozentsatz, den Mineralölkonzerne bei CO2-verursachenden Kraftstoffen gegenüber dem Referenzjahr 2010 kompensieren müssen, von Jahr zu Jahr an. Im Jahr 2023 waren es 8 Prozent, in diesem Jahr sind es 9,25 Prozent. Bis 2030 klettert der Wert auf 25 Prozent.

Konstanter Verfall: Die THG-Prämie für E-Auto-Halter fällt laut Bundesverband THG Quote immer niedriger aus. , Bundesverband THG Quote
Konstanter Verfall: Die THG-Prämie für E-Auto-Halter fällt laut Bundesverband THG Quote immer niedriger aus. (Bild: Bundesverband THG Quote)

Grundlage ist die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der EU. Danach soll der Anteil erneuerbarer Energien in den Sektoren Strom, Wärme sowie Transport bis 2030 auf zunächst 32,5 Prozent, in einer kommenden Verschärfung auf 42,5 Prozent steigen. Der Verkehrssektor spielt bei der Reduktion klimaschädlicher Abgase eine entscheidende Rolle. Die Mineralölkonzerne sind dabei Dreh- und Angelpunkt, denn sie bringen Kraftstoffe in den Handel.

Dabei wird nicht die Menge der Kraftstoffe begrenzt, sondern die schädlichen Abgase, die bei der Verbrennung freigesetzt werden. Um die THG-Quote zu erfüllen, haben Mineralölkonzerne vier Möglichkeiten:

  1. Sie kaufen über Vermittler Zertifikate für die CO2-Einsparung etwa durch private E-Auto-Halter.
  2. Der Verkauf von Strom für E-Autos an Ladesäulen der Konzerne zählt ebenfalls für die Quote.
  3. Angerechnet wird auch der Verkauf von Biokraftstoffen wie E5 und E10, Biodiesel und HVO 100.
  4. Darüber hinaus lassen sich CO2-mindernde Umweltschutzprojekte im Ausland – sogenannte UER-Projekte – auf die Quote in Deutschland anrechnen.

Vom ersten Weg profitieren E-Auto-Besitzer über die THG-Prämie. Doch eine Flut von CO2-Zertifikaten aus anderen Bereichen lässt die Preise verfallen.

Die Auflistung macht deutlich, das Regelwerk der THG-Quote ist komplex. Doch ein mutmaßlicher Grund für den Preisverfall ist schnell erklärt: Betrug bei den Projekten im Ausland. “Es gibt nicht bei allen Projekten konkrete Beweise, allerdings liegen viele Verdachtsmomente vor”, sagt Sandra Rostek, Leiterin Politik beim Bundesverband Erneuerbare Energie e. V. im Gespräch. Sehr offensichtlich ist der Fall eines Hühnerstalls in China, der für eine CO2-Einsparung in Höhe von 25,7 Millionen Tonnen verantwortlich sein soll.

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Jährliche Reduktionsvorgaben an Mineralölindustrie: Die Mineralölkonzerne müssen als “Inverkehrbringer” den CO2-Gehalt pro verkaufter Energieeinheit kompensieren. Bezugsjahr ist das Jahr 2010.

Dazu muss man wissen, was UER-Projekte sind. Das Akronym steht für Upstream Emission Reduction. Damit können Mineralölkonzerne Maßnahmen im Ausland, die den CO2-Ausstoß bei der Erdölförderung senken, in Deutschland anrechnen lassen. Ein Beispiel ist das Projekt HYOA. Die Details kann man öffentlich in der Emissionshandelsstelle des Umweltbundesamts einsehen. Hier soll der Betrieb mehrerer Heizkessel auf einem Ölfeld im chinesischen Shandong von Erdöl auf klimafreundlicheres Erdgas umgestellt worden sein. “Federführender Partner” ist die Shell Trading Rotterdam B.V.

Gibt man die Geodaten des Ölfelds aus dem sogenannten Verification Report bei Google Maps ein, sieht man in der Satellitenansicht ein lang gezogenes Gebäude am Rande einer Wohnsiedlung. Für einen Fernsehbeitrag im Mai 2024 schickte Frontal 21 die ZDF-Korrespondentin in China zu dieser Adresse. Sie fand einen leerstehenden Hühnerstall, aber keine Heizkessel.

Die Geodaten des HYOA-Projekts von Shell Trading lassen sich leicht in der Satellitenansicht von Google Maps überprüfen. Nach einem Ölfeld oder einer Anlage mit Heizkesseln sieht es hier nicht aus. Eine ZDF-Recherche ergab: Es ist ein leer stehender Hühnerstall.,
Die Geodaten des HYOA-Projekts von Shell Trading lassen sich leicht in der Satellitenansicht von Google Maps überprüfen. Nach einem Ölfeld oder einer Anlage mit Heizkesseln sieht es hier nicht aus. Eine ZDF-Recherche ergab: Es ist ein leer stehender Hühnerstall.

Zuständig für die Anerkennung der Quoten ist das Umweltbundesamt (UBA). Bei einer Befragung durch den Umweltausschuss des Deutschen Bundestages Mitte Juni 2024 räumte UBA-Chef Dirk Messner ein, dass es sich nicht um einzelne Betrugsfälle, sondern um ein Betrugssystem handelt. Der Druck aus Verbänden und Medien veranlasste das UBA zu einer erneuten Prüfung. Ergebnis: Von 60 UER-Projekten wurden zwei rückwirkend gestrichen und zwei in ihrer Antragsphase gestoppt. Weitere 36 hält das UBA für verdächtig.

“Man hat es den Betrügern zu einfach gemacht. Es gibt keine Vor-Ort-Kontrollen, keinerlei Sanktionen bei Verstößen und auch keine Rechtsfolge für die quotenverpflichteten Mineralölunternehmen. Das ist quasi eine Einladung zum Betrug”, sagt Rostek. Die Anträge beim UBA werden von sogenannten Validierungsunternehmen erstellt, die sämtliche Projektunterlagen prüfen. Auffällig ist, dass bei den Anträgen zwei Firmen immer wieder auftauchen. Bei zehn der 40 verdächtigen Fälle hätte laut Frontal 21 bereits ein Blick auf die Satellitenbilder Zweifel geweckt, ob die beschriebene Anlage dort steht, tatsächlich neu ist oder überhaupt existiert. Gegenüber Frontal 21 wiesen die Zertifizierer die Vorwürfe zurück.

Dass es auch anders geht, zeigt Österreich. Bei der Umsetzung der RED-Richtlinie war die Konstruktion der UER-Projekte der Regierung zu nebulös, sodass man sie bereits zu Jahresbeginn 2024 gestrichen hat. Das sieht man hierzulande inzwischen auch so: UER-Projekte werden ab 2025 nicht mehr berücksichtigt.

Doch nicht nur bei UER-Projekten liegt ein Betrugsverdacht auf der Hand, auch bei der Anrechnung von Biokraftstoffen drängt er sich auf. Hier geht es vor allem um sogenannte “fortschrittliche Kraftstoffe”. Das ist quasi die zweite Generation der Biokraftstoffe. In der ersten Generation kamen Raps, Getreide und Palmöl zum Einsatz, die auch als Tierfutter oder in der Lebensmittelindustrie hätten verwendet werden können. “Teller statt Tank” lautet die Kurzform der Kritik an diesen Kraftstoffen.

Bei den “Fortschrittlichen” kommen nur Abfälle, Reststoffe sowie Waldholz zum Einsatz. So wird beispielsweise aus altem Frittenfett die neue Form des Biodiesels HVO 100 (100 Prozent Hydrotreated Vegetable Oil) produziert. Laut Zahlen des Zolls lag die angerechnete HVO-Energiemenge im Jahr 2020 bei 4,4 Millionen Gigajoule. 2022 waren es bereits 14,2 Millionen Gigajoule.

Als Erklärung dieser Entwicklung bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder steigen die Mengen an Frittieröl sowie dessen lückenlose Sammlung für die Hydrierung zu Kraftstoff vor allem in Asien sprunghaft an. Oder: Auch hier wird betrogen. In letzterem Fall wird neues Palmöl aus Indonesien und Malaysia beim Transport über China in dortigen Häfen mit altem Frittieröl gemischt oder vollständig zu Biokraftstoff umdeklariert. Beweise für den Betrug zu sammeln, scheitert in beiden Fällen daran, dass unabhängige Prüforganisationen oder deutsche Behördendelegationen nicht einfach in China einreisen können. Kommt der fortschrittliche Biokraftstoff in Deutschland an, lässt sich nicht mehr feststellen, welches Fett für die Hydrierung verwendet wurde.

Die Betrugsversuche lohnen sich, weil fortschrittliche Kraftstoffe in der komplexen THG-Quotenregelung mehrfach angerechnet werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energie schätzt, dass eine Tonne davon eine Quotenwirkung von sechs Tonnen “klassischem” Biokraftstoff entfaltet.

Der zeitliche Verlauf der mutmaßlichen Betrügereien lasse sich am Verfall der THG-Prämie für E-Autos ablesen, sagt Wilko Eggers, Mitgründer und Chief Strategy Officer bei Zusammen Stromen in Hamburg. Das Unternehmen betreibt die Vermittlungsplattform “Geld für eAuto”. Anfang 2023 wurden die Mengensteigerungen bei fortschrittlichen Kraftstoffen publik. Die Höhe der THG-Prämie sackte ein. Da die Masche nun bekannt ist, rechnen Marktteilnehmer mit einer Reaktion der Behörden und einem Ende der Umdeklarierung. Doch bislang geschah nichts.

Die Industrie sieht sich nicht in der Verantwortung: “Die THG-Quote wurde als Marktinstrument geschaffen, um durch Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe kosteneffizient CO2-Minderungen im Verkehr zu erzielen. Niedrige THG-Quotenpreise sind weiterhin im Sinne des Gesetzgebers, nicht möglichst hohe Auszahlungen an E-Auto-Fahrer. Es ist jetzt die Aufgabe der Kontrollinstanzen zu prüfen, inwieweit Betrug im Ausland durch nicht rechtmäßig eingeführte Produkte vorliegt”, sagt ein Sprecher des Wirtschaftsverbands Fuels und Energie e.V..

Aber selbst wenn ein vom Bundesverband Erneuerbare Energie gefordertes Moratorium, also ein Aussetzen der Quotenanrechnung käme, hätte das kaum Auswirkungen auf die THG-Prämie. “Das liegt an der massiven Übererfüllung”, sagt Maximilian Stein, Sprecher des Bundesverbands THG-Quote. Nach Berechnungen des Verbands, der Dienstleister für den Quotenhandel vertritt, haben Mineralölfirmen für 2023 schätzungsweise 37 Prozent mehr CO2-Menge kompensiert als gefordert. Mit UER-Projekten sowie umdeklarierten Kraftstoffen war das sowohl einfach als auch günstig. Die überschüssigen Mengen dürfen die Unternehmen ins kommende Jahr schieben.

Mittelfristig dürfte durch den Wegfall der UER-Projekte, steigende Quotenverpflichtungen sowie öffentlichen Druck die THG-Prämie wieder steigen. Davon ist auch Maximilian Stein überzeugt. Doch aktuell sei das Geschäft für Vermittlungsplattformen schwierig: “Mir sagen meine Abnehmer, dass sie in diesem Jahr keine Quote mehr kaufen”, sagt Stein.

Stein hält eine Marktbereinigung in seiner Branche für wahrscheinlich, wenn bei etlichen Anbietern über mehrere Monate kein Geschäft stattfindet. Auf der anderen Seite dauert die Bearbeitung der Bewilligungen durch das UBA immer länger. “Die ersten Quotenbescheide für 2024 kamen bei uns im Juni an. Die Bearbeitung im Umweltbundesamt wird hoffentlich wieder zügiger als sechs Monate Bearbeitungszeit. Doch bei dem Druck von beiden Seiten auf die Vermittlungsplattformen ist eine Marktbereinigung unausweichlich”, sagt Stein. Muss ein Vermittler aufgeben, ist das ein Risiko für E-Auto-Halter: Im Jahr der Insolvenz ist ihre Ausschüttung mit großer Wahrscheinlichkeit in Gefahr.

Weniger Vermittlungsplattformen dürften zwar das Geschäft der Mineralölkonzerne vereinfachen, doch ein positiver Effekt auf den Preis der THG-Quote dürfte ausbleiben. Der Preis wird nicht an einer Börse mit vielen Teilnehmern nach Angebot und Nachfrage ermittelt. Er basiert auf bilateralen Verhandlungen zwischen Vermittlern und Aufkäufern. Preisinformationsdienste erfragen die Preise und errechnen daraus einen Mittelwert. Doch in einem Oligopol mit wenig Nachfragern liegt die Macht eindeutig bei den Mineralölkonzernen. In Deutschland vereinen Shell und BP/Aral etwas über 40 Prozent Marktanteil auf sich. Die Konzerne veröffentlichen regelmäßig An- und Verkaufspreise für den Ausgleich der Quote. Für die Anbieter von CO2-Zertifikaten bedeutet das: Friss oder stirb.

Mit 600 Euro pro verfehlter Tonne CO2-Einsparung oder Reduktion droht den Ölkonzernen eine empfindliche Sanktion, wenn sie ihre Quote nicht erfüllen. Derzeit kennt der Markt jedoch nur Verlierer: E-Auto-Fahrer erhalten wenig Geld für abgasfreies Fahren. Der Staat, in diesem Fall das Umweltbundesamt, wirkt wie ein Papiertiger. Was Verbandssprecher Stein dabei ärgert: “Da haben sich involvierte Parteien falsch verhalten und die Grundidee der THG-Quote untergraben. Traurig daran ist, dass im Kopf der Verbraucher hängen bleiben wird, der Zertifikatehandel funktioniert nicht.” 

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