
Wasserstoff ist tot, es lebe der Wasserstoff: Eigentlich wollte sich die Autoindustrie beim Wasserstoff auf den Frachtverkehr konzentrieren, doch nun will BMW mit einem Brennstoffzellen-Pkw 2028 in Serie gehen. Auch in das Thema Wasserstoffkernnetz kommt langsam Bewegung.
Neben dem Toyota Mirai bietet Hyundai mit dem Nexo ein E-Auto mit Brennstoffzelle und Wasserstoff-Tanks an. BMW will hierzulande der Dritte im Bunde werden. Welches Modell die Bayern aus ihrem Portfolio für die elektrische Antriebstechnik wählen, also Limousine oder SUV, ist noch nicht entschieden. Klar ist nur, die Zelltechnik stammt von Toyota und es dauert noch vier Jahre, bis Kunden das E-Auto bestellen können.
Effizienz steigern
Dabei existiert schon heute eine Testflotte mit rund 100 Fahrzeugen bei BMW. Die Antriebstechnik ist in das SUV-Modell X5 verbaut. Die c´t-Redaktion konnte den so genannten iX5 Hydrogen bereits testen. Aber warum benötigt der Hersteller noch mal vier Jahre bis zur Serienreife? „Wir gehen die gesamte Liste noch einmal durch. Wir entwickeln eine neue Systemgeneration bei den Zellen, wollen den Platin-Anteil in den Membranen senken, die Effizienz steigern und so mehr Reichweite herausholen, um am Ende zu einem industrialisierten Produkt zu kommen“, sagt Dr. Jürgen Guldner bei BMW-Projektmanager für Hydrogen Technology im Gespräch mit der c´t.
45 Jahre Erfahrung mit Wasserstoff
Dabei entwickelt BMW die Antriebstechnik nicht allein. Die Zellen kommen von Toyota. BMW fertigt daraus ein Brennstoffzellen-Stack. Die beiden Tanks für bis zu sechs Kilogramm gasförmigen Wasserstoff stammen von einem weiteren Zulieferer. Mit dem japanischen Autohersteller arbeitet BMW bereits seit über zehn Jahren zusammen. Guldner betont, bei BMW gibt es bereits 45 Jahre Erfahrung mit Wasserstoff. Ab 1979 wurde das Gas in Motoren der 5er Baureihe verbrannt. Später folgten Versuchsfahrzeuge der 7er-Reihe. Mit dem BMW H2R existierte ein Rennwagen, der bis zu 300 km/h schnell fuhr und Wasserstoff in einem Ottomotor verbrannte. Das erste Vorserienfahrzeug mit Brennstoffzelle präsentierte das Unternehmen auf der IAA 2019 in Frankfurt. Seitdem ist der iX5 Hydrogen bei den Messeauftritten von BMW mit dabei wie bei der Peking Auto Show 2024 und zuletzt beim Autosalon in Paris.

„Ära erheblicher Nachfrage“
Nicht nur die Dauer bis zur Serienreife überrascht, auch der Zeitpunkt der Ankündigung für die Serienfertigung erstaunt. Kein anderer Hersteller kündigt für Europa in absehbarer Zeit einen Brennstoffzellen Pkw an. Die Auswahl für Kunden bleibt überschaubar. Dennoch lässt sich BMW-Chef Oliver Zipse im Beisein von Koji Sato, dem geschäftsführenden Direktor der Toyota Motor Corporation, bei der Fahrzeugpräsentation Anfang September zu folgendem Satz hinreißen: „Es wird eine Ära mit erheblicher Nachfrage nach Brennstoffzellen-Elektrofahrzeugen einläuten.“ Warum das passieren sollte, bleibt unklar. Doch Guldner springt seinem Chef zur Seite: „Bei einer neuen Technologie lauten die Fragen immer: Wann kommt man damit? Ist die Infrastruktur vorhanden? Kommt man zu früh oder zu spät, was noch schlechter wäre. Wir denken, jetzt ist der richtige Zeitpunkt.“
Neben der geringen Zahl an Serienfahrzeugen kommt die geringe Zahl an Tankstellen in Deutschland hinzu. Der größte Anbieter, H2 Mobility, befindet sich in einer Umbruchphase. Aktuell nimmt die Zahl der Pkw-Zapfsäulen sogar ab. Ein wirtschaftlicher Betrieb ist für viele Tankstellenbetreiber aufgrund der geringen Pkw-Zulassungen nicht möglich. Laut Kraftfahrtbundesamt wurden hierzulande in den vergangenen vier Jahren rund 2.000 Brennstoffzellen-Pkw angemeldet. H2 Mobility setzt verstärkt auf Nutz- und Schwerlastfahrzeuge. Diese tanken allerdings mit geringerem Druck. Pkw tanken mit 700 bar, die Nutzfahrzeuge mit der Hälfte. Das senkt die Kosten für die Tankanlage. Allerdings kann ein Pkw an diesen Zapfsäulen keinen Wasserstoff tanken. Es entsteht also eine zweigeteilte Ladeinfrastruktur.
Aktuell sind in Deutschland 76 H2 Mobility-Standorte mit 700 bar und 36 mit 350 bar zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels in Betrieb. BMW ist gemeinsam mit Audi, Honda und Toyota assoziierter Partner bei H2 Mobility. Der Autohersteller sollten die Pläne zum weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur kennen. Doch wenn die Nachfrage fehlt, kann kein Unternehmen expandieren. „Natürlich würde es das Thema Infrastruktur befeuern, wenn noch weitere Modelle im Angebot wären. Uns würde das freuen. Aber wir gehen unseren eigenen Weg, damit sind wir bei BMW immer gut gefahren“, so Guldner.
Dynamische Beschleunigung
Der iX5 Hydrogen-Prototyp ist in Sachen Gewicht (2.570 kg) und Platzangebot mit dem X5 Plug-in-Hybrid nahezu identisch. Durch die Tanks und die Batterie verliert der Nutzer keinen Stauraum. Auch bei der Brennstoffzellen-Technik ist eine Lithium-Ionen Batterie mit an Bord. Sie speichert Energie bei der Rekuperation, also beim Verzögern des Fahrzeugs. Diese Energie wird beim Beschleunigen als auch bei Rangiervorgängen eingesetzt. Im iX5 Hydrogen etwas weniger als fünf Kilowattstunden. Die Brennstoffzelle gibt eine Dauerleistung von 130 kW ab, was eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h ermöglicht. „Bei der Fahrdynamik orientieren wir uns an den Kundenwünschen“, fasst es Guldner zusammen. Tatsächlich ist der BMW iX5 Hydrogen im Praxisvergleich der drei Wasserstoff-Pkw der dynamischste in Sachen Beschleunigung. (Wasserschleudern, c´t 02/2024 S. 58). Den positiven Eindruck zerstört das Auto allerdings bei der Reichweitenanzeige. „An einem Morgen bei −5 Grad Außentemperatur zerrinnen die Restkilometer derart schnell, dass wir schon eine Leckage am Tank vermuten. Gibt man dem iX5 Hydrogen ein wenig Zeit, korrigiert er die Anzeige wieder nach oben“, heißt es im Fahrbericht. Der Verbrauch liegt bei 1,19 kg pro 100 Kilometer. Umgerechnet sind das knapp 19 Euro beim aktuellen Kilopreis von 15,95 Euro. Der Wasserstoffpreis stieg mit dem Ukraine-Konflikt und der einhergehenden Energiekrise von rund 9 auf 16 Euro. „Der Preis sollte natürlich auf das Niveau von Benzin und Diesel pro 100 km runtergehen. Das erwarten wir auch, wenn mehr Nutzfahrzeuge Wasserstoff tanken. Zusätzlich dürfte die Produktion von grünem Wasserstoff einen positiven Effekt auf den Preis haben“, sagt Guldner.

Grau, Blau und Grün
Beim Wasserstoff existiert eine Farblehre, die sich auf den Produktionsprozess bezieht. Grauer Wasserstoff wird durch Dampfreformierung aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas und Erdöl hergestellt. Aktuell macht grauer Wasserstoff den größten Teil beim Angebot aus. Bei blauem Wasserstoff ist der Herstellungsprozess nicht anders, doch entweicht das entstehende CO2 nicht in die Atmosphäre. Über eine so genannte Carbon Capture and Storage-Technik wird das Gas unterirdisch gespeichert. Was langfristig mit dem CO2 geschieht, ist offen. Grüner Wasserstoff entsteht durch Elektrolyse. Dabei wird Wind-, Wasser- oder Solarenergie genutzt, um Wasser (H2O) in seine Bestandteile Hydrogen (Wasserstoff) und Oxygen (Sauerstoff) zu zerlegen. „Das geschieht in großen Industrieanlagen, die brauchen ihre Zeit. Ich muss eine Finanzierung als auch Genehmigung besorgen. Ich muss sie bauen und in Betrieb nehmen. Deswegen dauert es ein bisschen, aber es sind viele Projekte weltweit unterwegs“, sagt Guldner. Sucht man derartigen Projekten in Deutschland, stößt man auf Get H2 in Lingen im Emsland. Direkt neben dem RWE-Gaskraftwerk soll 2025 ein Elektrolyseur mit 100 Megawatt (MW) Leistung entstehen, der mit Windenergie betrieben wird. Bis 2027 soll die Anlage auf 300 MW ausgebaut werden. Das Hamburger Energie-Unternehmen Eternal Power entwickelt in Dummerstorf bei Rostock einen Elektrolyseur für jährlich bis zu 8.000 Tonnen grünen Wasserstoff (80 MW Leistung). Das Unternehmen plant eine Erweiterung auf bis zu 400 MW. Das wäre eine der größten Anlagen in Europa. Im ehemaligen Kohlekraftwerk Moorburg plant der Hamburg Green Hydrogen Hub bis 2027 ebenfalls einen 100 MW Elektrolyseur. In gleicher Größenordnung errichtet Shell in Wesseling bei Köln bis 2027 den Elektrolyseur REFHYNE II für bis zu 44.000 kg Wasserstoff pro Tag. Laut Unternehmensangaben ist das Ziel die Dekarbonisierung des Standortbetriebs im Shell Energy and Chemicals Park Rheinland. Moorburg liefert Wasserstoff an das Stahlwerk von Arcelor Mittal. Bei Get H2 werden Stahlwerke bzw. eine Raffiniere in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen als Abnehmer über ein Leitungsnetz angeschlossen. Anlagen für grünen Wasserstoff entstehen also, aber in kaum einer Projektbeschreibung werden Tankstellen als Abnehmer genannt.
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Weiterlesen bei c´t (€) 01/2025