Magnetismus für den Motor von morgen – AI

Audi Motorenwerk in Györ
Automobil Industrie

Audi investiert viel Ingenieurs-Know how in die E-Motoren seiner PPE-Plattform. Entwickelt wird in Ingolstadt, gefertigt im ungarischen Györ. Ein Werksbesuch in der weltgrößten Fabrik für Automotoren.

Langsam versenkt der Roboterarm den 200 mm langen Rotor im Statorgehäuse. Es fehlt nur noch der Deckel, dann ist der PSM 200 fertig. So nennt Audi seinen permanent-erregten Synchronmotor. Die meisten Arbeitsschritte in der Fertigungslinie sind automatisiert, denn es geht um Präzision. Zuvor haben 15 Biegeautomaten aus Kupferdraht das geformt, was Audi Hairpin-Wicklung nennt. Die flachen Kupferleitungen sehen nun aus wie große Haarklemmen. In jedem Stator werden insgesamt 140 Meter Kupferdraht in Form der Hairpins verbaut. Die Enden schauen auf einer Seite über den Rand des Stators hinaus. Mit 235 Laserschweißvorgängen werden sie verbunden, so dass später Energie ein rotierendes Magnetfeld erzeugen kann, das den Rotor mit seinem Dauermagneten in Bewegung versetzt. 

Die Montagelinie der E-Motoren für die Premium Platform Electric (PPE) steht im ungarischen Györ. Im Drei-Schicht-Betrieb fertigen insgesamt 700 Mitarbeiter rund 2.000 E-Motoren pro Tag. Der 21.500 Quadratmeter große Montagsbereich umfasst die Induktionsmotoren für die Frontachse sowie die permanent-erregten Synchronmotoren für den Heckantrieb. Sie kommen in den Audi-Modellen Q6 und A6 e-tron zum Einsatz und werden im Stammwerk in Ingolstadt verbaut. Porsche bezieht die Motoren aus Ungarn für seine Fertigung des elektrischen Macans in Leipzig. 

Audi Motorenwerk in Györ

E-Motoren aus der Eigenentwicklung

„Wir wollen die Wirkungsweisen verstehen und flexibel auf neue Erkenntnisse reagieren können“, sagt Florian Bittner über die Entscheidung, die PPE-Motoren in Eigenregie zu entwickeln und nicht auf Zulieferer zu setzen. Bittner arbeitet seit 15 Jahren bei Audi in der E-Antriebsentwicklung. Sein Arbeitsplatz befindet sich in Ingolstadt. Hier hat er die Anforderungen für den PSM-200 definiert. Neben Geräusch- und Gewichtsreduktion stand dabei ein weiteres Ziel im Vordergrund: Temperaturmanagement. Trocken laufende E-Motoren entwickeln an einigen Stellen Temperaturen bis zu 200 Grad Celsius. Für einen Dauermagneten ist Hitze schlecht, kann ihn sogar dauerhaft schädigen. Für den PSM-200 entwickelte Audi neben einer Trockensumpfschmierung auch eine gezielte Ölkühlung besonders heißer Bereiche. „Wir erreichen damit heute selbst bei hoher Last nicht mehr als 100 oder 110 Grad Celsius“, sagt Bittner. 

Weniger schwere seltene Erden

Das Thermomanagement bietet einen großen Vorteil für das magnetische Material im Rotor. „Wir können die Menge schwerer seltener Erden deutlich verringern“, sagt Bittner. Der Gattungsbegriff „seltene Erden“ beschreibt eine Gruppe von 17 chemischen Elementen. Dabei stimmt nur der erste Teil des Begriffs. Die Materialien sind tatsächlich selten. Das gilt vor allem für schwere seltenen Erden wie Terbium und Dysprosium. Die Anbieter bestimmen Konditionen und Preise. 

Audi Motorenwerk in Györ

Der zweite Teil des Begriffs führt in die Irre, denn es handelt sich nicht um Erden, sondern um Metalle. Andernfalls würde es mit dem Magnetismus nicht funktionieren. Das verbesserte Thermomanagement ermöglicht es Audi, drei unterschiedliche Magnetarten im Rotor einzusetzen. Dabei wird die Menge der schweren selten Erden reduziert. Diese Metalle werden vor allem für Magnete benötigt, die dicht unter der Oberfläche des Rotors positioniert sind. Der Rotor ist eine 200 mm lange, runde Walze aus Elektroblech, einer Eisen-Silizium-Legierung. In dieser Walze sind die Magnete eingelassen, daher spricht man auch von vergrabenen Magneten. Der Magnet direkt unter der Oberfläche erfährt die höchsten Wirbelströme als auch die stärksten magnetischen Gegenfelder. Beides resultiert in Wärmebildung, also müssen die Magneten resistent gegen den Verlust von Magnetismus sein. Das erreicht man mit schweren seltenen Erden. 

Die beiden anderen Magnetarten setzen auf einen höheren Neodym-Anteil als in NdFeB-Magneten üblich und macht die Hälfte des Magnetmaterial aus. Neodym zählt zu den leichten seltenen Erden. Diese Magnete sind V-förmig zur ersten Gruppe angeordnet und tiefer im Rotor vergraben. Die Anordnung sorgt für ein sinusförmiges Magnetfeld auf der Oberfläche des Rotors. Vereinfacht könnte man sagen, so läuft es runder. Das tut es tatsächlich und Experten wie Bittner können das nicht nur messen, sondern auch hören. Insgesamt läuft der E-Motor ruhiger.

Keine PSM-Kupplung

E-Motoren mit Permanentmotoren haben einen Nachteil im Segel-Modus. Will der Fahrer sein E-Auto nur rollen lassen, werden Induktionsmotoren spannungslos geschaltet. Durch das dauerhafte Magnetfeld in PSM-Motoren entsteht immer eine Spannung bzw. Schleppverluste, wenn nicht rekuperiert werden soll. Einige Hersteller setzen daher auf eine Kupplung, die den PSM-Motor von der Achse trennt. Audi hat sich dagegen entschieden, da der Motor an der Heckachse die Hauptarbeit leistet und eine Trennung nur in wenigen Momenten sinnvoll wäre. Hier wiegt für Audi der Nachteil einer Latenz bei Trennungs- und Verbindungsschaltungen höher als mögliche Schleppverluste. 

Motorenmontage im Selbstversuch

30 Jahre Györ

Mit Felddaten aus Kundenfahrzeugen zu Performance und Temperaturentwicklung werden Bittner und seine Kollegen die E-Motoren weiter verbessern. Auch kommende Motorengenerationen werden aus Györ kommen. Die 130.000 Einwohner-Stadt im Westen Ungarns liegt 120 km westlich von Budapest und genauso weit östlich von Wien. In Györ feiert man in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum. Die Arbeiten am Werk begannen bereits 1993, doch Fertigungsstart war im Jahr darauf mit 82 Mitarbeitern auf 800.000 Quadratmetern. „Heute ist es das größte Motorenwerk der Welt“, sagt Peter Will, Audis Produktionsvorstand nicht ohne Stolz beim Werksbesuch. Das Werksgelände umfasst inzwischen 5,1 Millionen Quadratmeter, und rund 12.000 Menschen arbeiten in den Hallen. Sie alle tragen knallrote Jacken, auf denen in weiß die vier Ringe gestickt sind. „Die Mitarbeiter haben die Farben ausgewählt, sie heißt Paprikarot und verdeutlicht den Bezug zum Land“, erläutert Will. Im vergangenen Jahr verließen 1,6 Millionen Motoren das Werk. Natürlich umfasst das Verbrennungs- als auch E-Motoren. Darüber hinaus hat sich das Presswerk auf besonders anspruchsvolle Karosserieteile für Konzern-Marken wie Bentley und Lamborghini spezialisiert. Inzwischen gibt es auch eine vollständige Fahrzeugfertigung in Györ, in der pro Arbeitstag 770 Autos vom Band rollen. Dazu zählen beispielsweise der Audi Q3 sowie der Cupra Terramar. 

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