Polestar 2 im Dauertest: Der erzwungene Abschied schmerzt – Heise Autos

Polestar 2
Heise

Nach Jahren ohne eigenes Auto least sich unser Autor einen Polestar 2. Es ist das erste Leasing-Fahrzeug der Familie. Haben sie die Entscheidung bereut?

Am liebsten sitze ich im Polestar 2 hinten. Im Winter sind auch diese Plätze beheizt. In der ausklappbaren Armlehne steckt mein Kaffeebecher. Meistens geht mein Blick nach oben, denn von hier hinten hat man die beste Aussicht durch das Glaspanoramadach. Vor allem bei Fahrten durch Städte gibt es viel zu entdecken.

Minimalistisch skandinavisch

Im Sommer 2022 haben wir in Sachen E-Auto vor allem die Wahl zwischen SUV-Formaten. Limousinen gibt es wenige. Daher entscheiden wir uns für die schwedische Marke. Das minimalistische, skandinavische Design ist ein weiterer Grund. Unser Polestar 2 soll blau sein, “Midnight Metallic” nennt es der Hersteller. Leider benötigen wir etwas Bedenkzeit, sodass bei Unterschrift des Leasingvertrags nur noch die Farbe “Thunder” verfügbar ist. Das ist ein dunkles Grau, das mir nicht gefällt. Doch es erweist sich als schmutzresistent. Flecken sieht man kaum. Von innen ohnehin nicht, und da fühle ich mich extrem wohl.

Leuchtender Stern

Ein häufig gehörter Kritikpunkt ist, man fühlt sich auf dem Fahrersitz eingeengt. Ich bin 1,85 m groß und empfinde das nicht so. Dennoch kann ich die Kritik nachvollziehen. Die Mittelkonsole reicht höher als in anderen Autos. Doch der Sitz lässt sich meinen Wünschen perfekt anpassen und so empfinde ich den Fahrerplatz als komfortablen Kokon.

Als ich zum ersten Mal den leuchtenden Polarstern entdecke, der sich im Glaspanoramadach spiegelt, beginnt eine Liebesbeziehung. Danach entdecke ich im Innenraum immer mehr Dinge, die ansprechend schön als auch praktisch gestaltet sind. Da überrascht es kaum, dass der damalige Polestar-Chef, Thomas Ingenlath seine Laufbahn in der Autoindustrie als Designer begonnen hat.

Was hinten ein wenig stört, ist der Tunnel in der Mitte. Natürlich ist darunter keine Kardanwelle verborgen. Zum einen hat der Polestar 2 Frontantrieb, zum anderen sitzen bei E-Autos die Motoren direkt an den Achsen. Es gibt keine langen Antriebswellen. Durch den Tunnel fehlt im Polestar 2 Platz im Fußraum, falls mal fünf Leute im Auto sitzen.

Polestar 2
Der Polestar 2 ist 1,48 m hoch. Auch deshalb gibt es im Innenraum einen “Tunnel”, in dem Teile der Batterie untergebracht sind.

Unter dieser Erhöhung im Bodenbereich befinden sich Teile der Batterie. Es ist eine Herausforderung für Ingenieure und Designer eine 78-kWh-Batterie im Boden unterzubekommen und gleichzeitig einen Fahrgastraum mit ausreichend Kopffreiheit zu entwerfen. Schließlich ist der Polestar 2 eine Limousine und misst nur 1,48 m in der Höhe. Nicht ganz so ambitionierte Ingenieure und Designer bauen lieber SUV. Bei diesem Format bekommt man beides einfacher unter.

Kein chinesisches Auto

Die Formulierung “schwedische Marke” ist bewusst gewählt, obwohl der Mutterkonzern Geely aus China stammt und der Polestar 2 auch in dem Land hergestellt wird. Doch die Wahrnehmung ist eine andere. Das ist uns bereits bei Testfahrten mit dem Polestar 1 und 2 aufgefallen. Jetzt setzt sich das in der Leasingzeit fort. Bei Ladestopps kommt man mit Passanten ins Gespräch. Wer mit dem Markennamen etwas anfangen kann, verbindet damit Schweden und Volvo. Das passt, denn die Zentrale befindet sich in Göteborg. Volvo war damals so etwas wie die “große Schwester”.

Inzwischen hat das Unternehmen seinen Anteil an Polestar jedoch stark reduziert. Den Eindruck kann man nachvollziehen, denn wir holen unseren Polestar 2 bei Volvo ab. Den Vertrag mit der Leasinggesellschaft schließen wir digital ab, die Abholung erfolgt im Herbst 2022 beim Volvo-Händler in Hamburg-Altona. Hier müsste ich auch hin, falls mal etwas defekt ist. Doch mich sahen sie erst nach zwei Jahren zum ersten Wartungstermin wieder.

15 Jahre ohne eigenes Auto

Die Abholung ist aufregend, weil es unser erstes Leasing-Fahrzeug als auch das erste eigene Auto nach 15 Jahren Autoabstinenz ist. So lange haben wir autofrei in Hamburg-Eimsbüttel gelebt. Laut Wikipedia liegt der Stadtteil auf Platz zwei der am dichtesten besiedelten Viertel der Hansestadt. Unsere Wohngegend ist geprägt von Altbauten aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Am Straßenrand stehen alte Bäume. Dazwischen parken auf sämtlichen Flächen dauerhaft Autos.

Für mich ist es immer ein eindeutiges Zeichen, dass die meisten Autos die meiste Zeit parken und nicht fahren. Für uns bieten öffentlicher Nahverkehr, Fahrrad und ab 2011 Car-Sharing-Anbieter ausreichend Alternativen. Wir fahren regelmäßig in ein Ferienhaus im Süden der Niederlande. Für die Strecke nahmen wir vor dem Polestar einen Mietwagen.

Ohne Wallbox?

Dann sprachen drei Gründe für ein eigenes Auto. Die Tochter hatte gerade ihren Führerschein erworben. Fahrpraxis kann sie im eigenen Auto am einfachsten sammeln. Nach der Corona-Pandemie ist mein Gefühl noch ausgeprägter, dass mich Mietwagen-Unternehmen mit ihren Gebühren für Zweitfahrer und Versicherung über den Tisch ziehen. Drittens will ich Elektromobilität im Alltag erleben. Bei Fahrveranstaltungen und mit Testwagen ist es immer nur ein Ausschnitt. Wie kommt man ohne Stellplatz und ohne Wallbox klar, wenn man auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen ist?

Nervige Parkplatzsuche

Die Suche nach einem Parkplatz war tatsächlich nervtötend. Dabei ist der Polestar 2 mit 4,60 m Länge und 1,99 m Breite mit ausgeklappten Spiegeln noch ein halbwegs moderat großes Fahrzeug. Da könnte man mit Glück einen Parkplatz finden. Doch das Glück hat meist nur meine Frau. Zudem fürchte ich Parkrempler. Bei einem Leasing-Fahrzeug bezahlt man am Ende jeden Kratzer. Also suchte ich nach einem sicheren Stellplatz. Erstaunlicherweise fand ich in Laufnähe einen bezahlbaren Tiefgaragenplatz – allerdings ohne Möglichkeit, eine Wallbox zu installieren. Dafür bietet Hamburg mit aktuell über 1600 öffentlichen Ladepunkten eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur.

Polestar 2
Glück gehabt: Ich bekam in der Nähe meiner Wohnung mitten in Hamburg einen bezahlbaren Stellplatz.

Blinkt wie ein Glückspielautomat

Allerdings hat die ihre Hürden. Die AC-Lader liefern bis zu 22 kW, doch der Polestar lädt Wechselstrom nur mit 11 kW, wie die meisten anderen E-Autos auch. An diesen Stationen durfte ich anfangs tagsüber maximal zwei Stunden stehen. Das bedeutet, ich bekam nur 22 kWh nachgeladen – abzüglich der Ladeverluste, versteht sich. Später wurde die Ladezeit auf drei Stunden erweitert. Gut, aber immer noch nicht ausreichend, um den nutzbaren Energiegehalt von 75 kWh komplett zu füllen.

Ich machte einen Bogen drum, da die AC-Lader meist von Car-Sharing-Fahrzeugen zugeparkt waren – häufig übrigens ohne zu laden. Ich setze mein Glück auf einen Schnelllader um die Ecke. Die Ladesäule des australischen Herstellers Tritium liefert 50 kW Gleichstrom und blinkt im Betrieb wie ein Glückspielautomat in einer Kneipe. Leider sehe ich das Lichtspiel viel zu selten. Mal ist die Säule mit einer Haube abgedeckt, mal haben frustrierte Nutzer einen “Defekt”-Zettel draufgeklebt. Einmal wähle ich die Rufnummer des Störungsmanagements, kann aber nur eine Sprachnachricht hinterlassen. An der Situation ändert das nichts.

Schnellladen in der Stadt


Ich bekomme mit, wie im gesamten Stadtgebiet die Tritium-Säulen nach und nach ihren Dienst einstellen. Vermutlich ist es als Betreiber nicht einfach, eine Reklamation bei einem Unternehmen durchzusetzen, dass auf der anderen Seite der Erdkugel zu Hause ist. Im Frühjahr 2024 meldet Tritium wenig überraschend Insolvenz an. Derweil setzt Hamburg Energie auf Schnellladesäulen von Alpitronic aus Bozen. Ende April 2024 nahm ein Lader mit zwei Anschlüssen und 150 kW Ladeleistung an der Stelle der alten Tritium-Säule den Betrieb auf. Ein Traum. Hier darf man tagsüber zwar nur eine Stunde stehen, aber in der Zeit bekomme ich mein E-Auto stets aufgeladen. Ja, vor langen Autofahrten lade ich den Polestar auch mal auf 100 Prozent.
Schadet Schnellladen der Batterie?
Bevor dieser Ladetraum aus Südtirol ans Netz geht, verfolge ich eine andere Strategie. Ich fahre früher los und lade am ersten Schnelllader an der Autobahn hinter der Stadtgrenze. Oder ich lade auf dem Rückweg kurz vor Hamburg voll, sodass ich damit die gesamte Woche auskomme. Somit bin ich mit unserem E-Auto meist an Schnellladern. Natürlich treibt mich die Sorge um, ob ich damit der Batterie schade. Entwarnung kommt von Aviloo.
Das österreichische Unternehmen hat sich auf Batteriezertifikate spezialisiert. Für ein Video über den E-Auto-Gebrauchtmarkt mache ich den Test. Dazu muss ich unseren Polestar 2 vollgeladen mit einem Messgerät an der OBD2-Schnittstelle bis auf zehn Prozent Batteriekapazität fahren. Das Ergebnis: Ich habe noch 539 der 540 m WLTP-Reichweite. Mein Zertifikat lautet somit auf 100 Prozent Batteriekapazität. Gut, der Wagen ist zu diesem Zeitpunkt erst sieben Monate im Einsatz.

Aviloo Batteriezertifikat Ionity laden Polestar 2

Tester mit Testergebnis: 100 % – der Batterie hat das häufige DC-Laden nicht geschadet.


Ein Sommerauto


Während des Tests ruft mich die Aviloo-Pressesprecherin an und bittet mich, den Wagen bis auf null Prozent leer zu fahren. Die Testingenieure hätten aus der Ferne festgestellt, meine Batterie verfüge über eine neue Zellchemie, die ihnen bislang nicht untergekommen ist. Ich bin also Versuchskaninchen. Es ist Ende Mai und schon recht warm. Am frühen Abend breche ich auf, die restlichen 15 Prozent leer zu fahren. Das dauert selbst auf der Stadt-Autobahn viel länger als erwartet.
Verbrauch und Auslandserfahrungen
In der warmen Jahreszeit ist der Polestar 2 recht sparsam. Da schafft man 100 km schon mal mit 17 kWh. Kurz vor Mitternacht drehe ich noch Runden auf dem Parkplatz einer Fastfood-Kette. Dort steht ein Schnelllader. Mit abwechselnd eingeschalteter Heizung und Klimaanlage will ich die restliche Energie verbrauchen. Doch der Polestar zeigt sich weiterhin sparsam, bei zwei Prozent gebe ich auf und stecke ihn an.
Problemlose Touren ins Ausland
Im Oktober 2023 sind die Temperaturen immer noch sommerlich. Das gilt vor allem für unser Reiseziel im südfranzösischen Hyères. Über mehrere Etappen geht es die 1600 km in Richtung Mittelmeer. Die Ladeinfrastruktur in unserm Nachbarland ist vorbildlich. In Dijon lädt der Wagen über Nacht am AC-Lader im Parkhaus. An der Autobahn gibt es meist mehrere Anbieter auf den Rastplätzen. Manche zeigen bereits bei der Anfahrt den Preis pro Kilowattstunde auf einem Schild an. Die Rastplätze entlang der Route du Soleil bieten Basketball- und Boule-Plätze. Es gibt viel Auslauf für unseren Hund.

Ladepreisanzeige in Frankreich
In Frankreich werden die Preise für eine Kilowattstunde über eigene Schilder angezeigt.


Leider darf ich auf dieser Tour nicht hinten sitzen, da ich mich mit meiner Frau beim Fahren abwechsle. Die Tochter ist nicht dabei. Hundedame Cassie liegt hinten. Falls ihre Schlafenszeit Rückschlüsse auf die Zufriedenheit mit dem Auto zulässt, ist sie mit dem Polestar 2 sehr zufrieden. Auch die Touren in die Niederlande absolviert sie meist schlafend.
Eine Strecke von Hamburg sind 540 km. Mit einem Ladestopp ist das gut zu schaffen. An der niederländischen Autobahn hat Fastned ein dichtes Ladenetz aufgebaut. Ich steuere aber auch gern einen Tesla-Supercharger an. Zum einen findet man dort 20 und mehr Anschlüsse, zum anderen liegen die Preise in den Niederlanden in der Nebenzeit bei 0,24 Euro pro Kilowattstunde.
Winterreifen aufgezogen
Im Winter steigt der Verbrauch sprunghaft an. Ein Teil der Energie geht ins Erwärmen der Batterie. Zusätzlich haben die Winterreifen einen höheren Rollwiderstand. In unserem ersten Winter gab es einen Tag mit Blitzeis, der mich veranlasst für 1500 Euro vier Winterreifen auf Felgen zu erwerben. Jeder Reifenwechsel kostet mit Reifeneinlagerung rund 120 Euro. Die schweren 19-Zoll-Felgen will ich nicht auf den Dachboden schleppen. Unnütz zu erwähnen, dass in den zwei Wintern in Hamburg kein weiteres Mal Schnee lag oder Blitzeis auftrat. Der nächste Wagen bekommt Ganzjahresreifen.

Vorkonditionierung vertrauen

Der erhöhte Verbrauch in der kalten Jahreszeit ist für mich nicht neu. Ein Testwagen der Marke zeigte nach einer Tour in den winterlichen Harz 29 kWh pro 100 km an. Das bedeutet bei 75 kWh nutzbarer Energie eine Reichweite von 260 km. Der Polestar 2 verfügt über eine Wärmepumpe, was den Energieanteil für das Aufheizen des Innenraums senken soll. Vor Ladestopps wird die Batterie vorkonditioniert, also auf Temperatur gebracht.

Allerdings bekommt man als Fahrer dazu keine Rückmeldung auf dem Bildschirm. Man muss es glauben. Umso enttäuschter bin ich, als die anfängliche Ladeleistung im Winter oft viel zu gering ausfällt. Die Spitzenleistung von 150 kW wird dann für wenige Minuten erreicht. In der kalten Jahreszeit dauert es schon mal 40 Minuten, um von 10 bis 80 Prozent SoC aufzuladen.

Innovationssprünge

Kurz nachdem ich meinen Polestar 2 übernehme, veröffentlicht der Hersteller die Werte des neuen Modelljahres. Die größte Änderung dürfte der Wechsel von Front- auf Heckantrieb sein. Das ist mir egal, da ich mit dem Frontantrieb nie Probleme habe. Aber die neuen Werte machen mich schon neidisch. Jetzt lädt der Polestar 2 mit bis zu 205 kW. Der Energiegehalt der Batterie steigt auf 82 kWh und damit die Reichweite von 540 auf 644 km.

Auf der einen Seite ist es gut zu sehen, dass der Wagen noch attraktiver wird. Auf der anderen Seite fühle ich mich an meine Jugend erinnert. Kaum hatte man sich für einen Computer entschieden und ihn aus dem Laden getragen, kam ein neuer Prozessor, der viel mehr konnte.

Polestar 2
Ausflüge für Videodrehs mit dem Polestar 2 an die Nordsee in den Niederlanden

Polestar 2 im Dauertest: Infotainment, Wünsche, Fazit

Die Innovationssprünge werden beim E-Auto wohl noch eine Weile groß bleiben. Daher würde ich ein E-Auto nur im Abo mieten oder eben leasen. Der Gebrauchtwagenmarkt tut sich schwer. Immerhin werden Funktionen im E-Auto über Updates laufend besser. Mich störte anfangs immer, dass ich das Ladelimit nicht per App verändern kann. Da entfernte man sich beim Laden vom Auto und stellte dann im Restaurant fest, dass man das Ladelimit nicht auf 80 Prozent gesetzt hat. Also musste man noch mal zum Auto laufen.

Oder umgekehrt, das Limit war viel zu niedrig gesetzt und man wollte es erhöhen. Das funktionierte plötzlich nach einem Update. Im Fahrerdisplay tauchten auf einmal geschätzte Ankunftszeit sowie die Restkilometer einer Routenplanung auf. In Google Maps sah man auf einmal die Belegung und Ladeleistung der Lader in der Umgebung.

(…)

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