Elektrisch: Ja. Aber wie? – c´t

Scania Truck
ct

Die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs. Der Schwerlastverkehr muss seine Emissionen senken, um die CO2-Ziele zu erreichen. Doch hohe Anschaffungskosten der Zugmaschinen und die fehlende Ladeinfrastruktur lassen Spediteure zögern. Das gilt für die akkuelektrische Kombi genauso wie für Wasserstoff und Brennstoffzelle. Helfen könnten clevere Zwischenlösungen wie elektrifizierte Anhänger oder Wechselakkus.

Um die CO2-Vorgaben in Europa zu erfüllen, müsste der Anteil emissionsfrei fahrender Lkw von heute unter zwei Prozent auf 40 Prozent im Jahr 2030 steigen. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung der Unternehmensberatung McKinsey. Wer auf einen emissionsfreien Lkw umsteigen möchte, kann das tun. Das belegen die E-vielen E-Zugmaschinen auf der diesjährigen IAA Transportation. Star der Messe war der eActros 600 von Daimler Trucks, der bis zu 500 km mit einem beladenen Auflieger schafft. Etwas länger dauert es mit der Brennstoffzelle, die unterwegs den Strom erzeugt. Die Zwischenlösung in Hannover heißen Bioethanol, Flüssiggas und Wasserstoff, der allerdings im Motor verbrannt wird.

So unübersichtlich das Angebot ist, so groß fällt die Kaufzurückhaltung in der Logistikbranche aus. Von 250 befragten Flottenbetreibern in der McKinsey-Studie nannten 34 Prozent Unsicherheiten über die Akkulebensdauer, 31 Prozent zu lange Ladedauer und 30 Prozent die mangelnde Reichweite als Gründe. Zudem ist Logistik ein margenschwaches Geschäft mit viel Wettbewerb. Eine akkuelektrische Zugmaschine kostet bis zu drei Mal so viel wie ein vergleichbarer Diesel-Truck. Bei der Brennstoffzelle liegt der Faktor sogar bei fünf bis sechs Mal so viel. Doch Anschaffungspreise sinken erst, wenn verkaufte Stückzahlen steigen. 

Megawatt-Charging kommt

Der Sorge um die zu lange Ladezeiten begegnet die Branche mit dem neuen Ladestandard MCS. Das Akronym steht für das Megawatt Charging System, bei dem eine Ladeleistung bis zu 1.000 kW möglich ist. Dem Mangel an Ladestationen treten beispielsweise die Traton Group (MAN, Scania), Daimler Truck und Volvo mit der Gründung von Milence entgegen. Innerhalb von fünf Jahren will das Joint-Venture in Europa 1.700 Ladestandorte mit Durchfahrtsmöglichkeit für Zugmaschinen und Auflieger-Gespanne errichten. Hier wird mit HPC-Ladeleistung (400 kW) als auch dem MCS-Standard geladen.

Trailer Dynamics: E-Motor treibt Achse des Aufliegers an

Den Auflieger elektrifizieren

Gefragt sind schnelle Lösungen. Ein Beispiel dafür bietet Trailer Dynamics. Das Unternehmen aus Eschweiler bei Aachen installiert einen E-Motor an eine Achse des Aufliegers. Der wird damit zum so genannten E-Trailer. „Dabei ist es uns egal, was für eine Zugmaschine zum Einsatz kommt und wer den Trailer herstellt“, sagt Michael Nimtsch, Gründer und Geschäftsführer von Trailer Dynamics im Gespräch mit der c´t. Zieht ein Diesel-Truck den E-Trailer, sinkt der CO2-Ausstoß. In einem Praxistest mit dem Logistikdienstleister DSV fiel der Dieselverbrauch auf einer 360 km langen Strecke mit dem beladenen E-Trailer um 48 Prozent. „Im Durchschnitt liegt die Kraftverteilung bei einem Gespann aus Zugmaschine und Auflieger bei 60:40, wobei unser E-Trailer die 60 Prozent übernimmt“, sagt Nimtsch. Ist die Zugmaschine elektrisch unterwegs, verdoppelt sich die Reichweite. „Von aktuell 400 km Reichweiter einer elektrischen Zugmaschine kommen wir in der Kombi auf Reichweiten bis zu 800 km“, sagt Nimtsch. Die darf kein Fahrer aufgrund vorgeschriebener Ruhezeiten am Stück fahren. „Doch ein Auflieger wird mehrfach am Tag zwischen unterschiedlichen Zugmaschinen getauscht“, berichtet Nimtsch aus der Praxis. Darum haben die Ingenieure großen Wert darauf gelegt, dass es keinerlei physische Verbindung zwischen E-Trailer und Zugmaschine gibt. Es muss kein Kabel angeschlossen und wieder getrennt werden. Das vereinfacht die Arbeitsabläufe. Am sogenannten Königszapfen des Aufliegers, der im Sattelauflieger der Zugmaschine steckt, messen Sensoren die Längs- und Querbewegungen. Daraus errechnet eine Kontrolleinheit am Auflieger die benötigte Unterstützung. Laut Gesetz darf ein Anhänger nicht schieben. Der E-Trailer unterstützt beim Vortrieb und muss rechtzeitig Leistung reduzieren, wenn die Zugmaschine bremst.

Drei Akku-Größen

Die zwei E-Motoren mit 360 kW Dauer- und 580 kW Spitzenleistung treiben die mittlere der drei Achsen des Aufliegers an. Dabei ist der Antrieb nicht direkt in die Achse integriert. „Die Erschütterung durch Schlaglöcher und das Gewicht der Ladung schaden dem Motor. Darum verbinden wir Motor und Achse über ein Getriebe“, erläutert Nimtsch. Die Energie ist in mehreren Akkupaketen unterhalb des Aufliegers montiert. Bei dem 800 Volt-System haben die Kunden die Wahl zwischen 187, 367 und 551 kWh. Aufgrund des Preises, Zyklenfestigkeit, Langlebigkeit sowie schwerer Entflammbarkeit setzt das Unternehmen auf Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP). Ein Thermomanagement sorgt für die gewünschte Temperatur der Zellen. Verzögert die Zugmaschine, starten die E-Motoren die Rekuperation. Aus Bewegungsenergie wird elektrische Energie, die zurück in die Akkus fließt.

Hyundai Xcient: Haben Wasserstoff und Brennstoffzelle eine Chance im Schwerlastverkehr?

Laden im Depot

Geladen werden die Akkus über einen CCS-Stecker mit bis zu 350 kW. Natürlich kann der Fahrer unterwegs öffentliche HPC-Lader nutzen. „Doch Zeit und Platzangebot sprechen dagegen“, sagt Nimtsch. Noch gibt es wenige Ladeparks, die auf Lkw-Gespanne ausgerichtet sind. Zeitgleiches Laden beider Elemente dürfte die Ausnahme sein. Zeitdruck der Fahrer spricht dagegen, den E-Trailer nach der Zugmaschine zu laden. „Wir setzen auf Depotladen“, sagt Nimtsch. Der E-Trailer wird vor dem Start bei der Spedition geladen. Bei Entladung an einem Depot oder Logistik-Hub wird nachgeladen. Das setzt allerdings voraus, dass die Branche ihre Immobilien mit Schnellladeinfrastruktur ausrüstet. „Das werden sie schon aus Strompreisgründen tun“, ist Nimtsch überzeugt. Der Industriestrompreis liegt bei rund 0,20 Euro. Deutlich weniger, als was man derzeit an öffentlichen Schnellladern zahlt. Nutzen Logistiker ihre Hallendachflächen für Photovoltaik-Zellen, sinkt der Preis nochmals. Sollten unterwegs die Akku nicht nachgeladen werden, wird der Auflieger komplett von der Zugmaschine gezogen. So wie früher auch, nur mit etwas mehr Gewicht aufgrund von Akku und E-Motor.

6.700 Reservierungen

Trailer Dynamcis wurde 2018 gegründet. Heute arbeiten 70 Mitarbeiter für das Unternehmen, davon ein Drittel in der Softwareentwicklung. Aktuell sind 12 Prototypen des E-Trailers auf den Straßen unterwegs. Bis 2025 plant Nimtsch die Ausstattung von mehreren Hundert Vorserienmodellen, die 2026 in Serienfertigung gehen. Dem Unternehmen liegen 6.700 Reservierungen vor, die sind allerdings 

unverbindlich. Doch die Branche schaut genau hin, denn der E-Trailer ist die einfachste Lösung, um schnell den CO2-Ausstoß in der Logistik zu senken. Unternehmen, die  klimaneutral arbeiten wollen, erstellen schon heute eine Emissionsbilanzierung nach dem Greenhouse Gas Protocol. Unter den so genannten Scope 3 fallen sämtliche Transporte von Vorprodukten sowie die Auslieferung fertiger Produkte eines Unternehmens. Dieser Teil lässt sich mit dem E-Trailer reduzieren. 

(…)

Weiterlesen bei c´t (€) 24/2024

Artikel teilen:

Weitere Artikel